TheaterPACK

© Leipziger Volkszeitung vom 11. März 2013

Morphing-Effekt, ganz ohne Computer
Spielstark: Theater Pack mit „Drei Schwestern“ in der Nato  

Von Mathias Wöbking


Mascha muss aufpassen, als sie über ihre Schwägerin Natascha herzieht. Denn die ungeliebte Geliebte des Bruders ist so nah, wie ein Mensch nur sein kann.
Das Theater Pack verwandelt in seiner Inszenierung der „Drei Schwestern“, die am Samstag in der Nato Premiere hatte, die finanziellen Nöte eines freien Ensembles wieder einmal in eine dramaturgische Tugend. Mit 14 Figuren und etlichen Erzählsträngen böte Anton Tschechows Drama Stoff für eine opulente Aufführung. Aber nicht nur beschränkt sich Regisseur Frank Schletter auf wenige Requisiten und musikalisch auf spontane Einfälle der tollen Cellistin Claudia Herold. Zudem fokussiert er das Stück über die drei Schwestern, die nach dem Tod des Vaters in einem russischen Garnisonsstädtchen festsitzen und sich nach Moskau sehnen, ganz auf die drei Titelheldinnen – und setzt konsequenterweise lediglich drei Schauspielerinnen ein.
Drei äußerst spielstarke, improvisationsfreudige und wandlungsfähige Darstellerinnen freilich: Wie also Katharina Eirich als Mascha mit dem Lästern anfängt und noch schimpft, als sie sich bereits die Perücke überzieht, die sie zu Natascha macht – wie sie sich in einem kurzen Moment gleichzeitig echauffiert und wegen der unfreundlichen Worte pikiert guckt, ist schlicht großartig.
Die Entscheidung, wer welche Rollen aufhäuft, ist nicht nur mit Blick auf die Frage clever gelöst, welche Figur in mancher Szene verzichtbar ist. Vielmehr erscheint mit einem Mal einfach logisch, dass zum Beispiel Hannah Maneck unter anderem die jüngste Schwester Irina sowie den Oberstleutnant Werschinin spielt: die Charaktere für Schlüsselsätze im Skript. „Nur die Sehnsucht nach dem Glück“ kenne der Mensch, nicht das Glück an sich, stellt der schwermütige Soldat einmal fest. Am Ende, als Irina ihre anfängliche Lebenslust längst verloren hat, verfällt sie in einen noch verzweifelteren Ton und beklagt, wie „das Leben entflieht“, ohne dass sie ihren Zielen näher kommt.
Während Eirich mit Mascha, Natascha und noch dem Soldaten Soljony die eher schlichten Gemüter verkörpert, füllt Katja A. Pohl jene Rollen glaubhaft mit Leben, die sich ihren Schicksalen am meisten ergeben: die älteste Schwester Olga, der Moskau bald ziemlich egal ist; den greisen Tschebutykin, der zwar vieles durchschaut, aber nichts damit anfangen will; und Maschas Gatten Kulygin, der offen betrogen wird und trotzdem ständig betont, wie glücklich seine Frau ihn macht.
Tschechow verzichtete Anfang des 20. Jahrhunderts bewusst auf einen Spannungsbogen. Das Theater Pack füllt diese Leere mit einem beeindruckenden Kunststück: Ohne die Handlung zu verwirren, verwischen die Konturen der Figuren wie die Personage in manchem Roman von Gabriel García Márquez. Fast, als wäre hier Hollywood und ein Spezialist würde die Gesichter per Morphing ineinander übergehen lassen.
Manchmal entsteht dadurch Komik: als Maneck beleidigt dreinschaut etwa, weil jemand Irinas Italienisch bemängelt, obwohl sie gerade in der Rolle des Werschinin steckt. Vor allem jedoch gelingt es dem Ensemble so, eindringlich Tschechows Botschaft zu erzählen: vom kollektiven Elend der menschlichen Seele.