TheaterPACK

© Leipziger Volkszeitung vom 29./30. Mai 2010

Der Stoff, aus dem die Alpträume sind
Theater Pack eröffnet die Sommertheater-Saison mit unterhaltsamem "Neurosenkrieg" im Westwerk

Man kennt sich verflucht gut: Bruce weiß genau, wie er Jacky in Hilflosigkeit und Verzweiflung treiben kann. Ein, zwei Gemeinheiten reichen, dann bricht das wacklige Konstrukt antrainierter Selbstsicherheit zusammen. Jacky braucht dafür nicht mal einen Lebenspartner - Bruce ist ein konstanter Begleiter aus dem Off: ihr Minderwertigkeits-Komplex, im Stück "Der Neurosenkrieg" des Theater Pack personifiziert durch Jörg Miethe.
Eine Komödie mit schöner Grundidee und weitem Spielraum hat sich Pack-Chef und -Regisseur Frank Schletter für seine Sommertheater-Offerte ausgesucht, die am Donnerstag auf dem Westwerk-Gelände Premiere hatte und damit als erste Off-Produktion die Open-Air-Saison eröffnete - bei einer Andeutung von Frühling und dem sicheren Gefühl, im Regenfall ein Dach über dem Kopf zu haben.

Die junge Autorin Melanie Vega (Jahrgang 1981) hat den Stoff geliefert, aus dem die Alpträume einer 27-Jährigen sind. Quälgeist Bruce ist nämlich nicht allein. Eine Paranoia mit dem wegweisenden Namen Cassandra beansprucht einen Teil des Seelenschindens für sich. Beide laufen zu großer Form auf, als sich Jacky auf den Besuch ihrer Schwiegereltern in spe vorbereitet, für die sie extra einen selbstgemachten Sonntagsbraten in den Ofen steckt - Symbol für die Konfliktangst der jungen Grafik-Designerin, denn sie will die beiden und ihren Freund Marcus nicht mit ihrem Vegetarismus behelligen.

Mit sadistischem Spaß an ihrer Macht piesacken Bruce und Cassandra die Getriebene, die vergebliche Versuche unternimmt, sich gegen Ängste und Erniedrigung zu behaupten. Da hilft auch nicht das Abrufen auto-suggestiver Sätze, die ihr die Therapeutin eingebläut hat. Autorin Vega drapiert amüsante Exkurse in die inneren Kämpfe (über den früh gestorbenen Dichter Georg Büchner beispielsweise - "als der so alt war wie ich, war der schon vier Jahre tot!"), ist aber nie auf den schnellen, billigen Witz aus. In satirischer Zuspitzung wird gar eine gewisse Bequemlichkeit entlarvt - der Wahn produziert Selbstmitleid, das immer vieles von dem entschuldigen kann, was im eigenen Leben schiefläuft. Corinna De Pooter ist eine glaubwürdige, eine zarte Neurotikerin, der nur noch der Mut fehlt, die Aggression richtig hinaus zu schreien.

Jörg Miethe bekommt den coolen Miesmacher prima hin, Glanzpunkte setzt Valerie Habicht-Geels - als Paranoia ein geradezu wunderbar durchtriebenes Miststück. Schöne Gimmicks bilden die Kulisse als Zimmer des Star-Wars-Fans Jacky mit lebensgroßem Darth Vader und einem Laser-Schwert als Telefon. Dazwischen kauert ein Stoffhase als Relikt der verlorenen Kindheit, in die sich die junge Frau am liebsten zurückbeamen möchte.

Der Wendepunkt deutet sich vor der Pause an: Die Seelenklempnerin lässt Jacky fallen. Der beste therapeutische Ansatz, denn plötzlich probt die Gute den Aufstand. Die Wende kommt so radikal und plakativ, als habe die Autorin die Fantasie für Überraschendes verlassen. Ein Alles-wird-gut-Finale à la Hollywood, das die zuvor vollbrachte feine Ziselierung und wohltuende Freiheit von Plattitüden leider ein Stück weit entwertet. Bis dahin aber ist "Der Neurosenkrieg" ein lockerer, unterhaltsamer Abend. Warmer Schlussapplaus bei kalten Nasenspitzen.

Mark Daniel