TheaterPACK

© Leipziger Volkszeitung vom 7. Mai 2012

Beeindruckend
Großer Rilke-Abend vom Theater Pack im Horns Erben  

Von Janna Kagerer


Berge von riesigen, weißen und zerknitterten Packpapierbögen liegen auf der kleinen, mit schwarzem Tuch umhüllten Bühne des Horns Erben. Die eintretenden Zuschauer, die genauer hinsehen, bemerken, dass es unter dem Papier atmet. Plötzlich ertönt eine Stimme: "Der Tod des Dichters!" Der Titel eines Gedichtes von Rainer Maria Rilke, dessen Werk das textliche Gerüst zur Performance "Lösch mir die Augen" bildet, mit der Frank Schletter (Regie und Ausstattung) und Sophia Heyn (Dramaturgie) am Samstag Premiere feierten.
Es zeugt zunächst von einer gewissen Ironie, dass das szenische Experiment ausgerechnet mit diesen Worten beginnt. Ein Abgesang auf jene Dichtkunst, die sich noch um starke und uneindeutige Bilder bemühte, und für die Rilke exemplarisch steht? Keineswegs. Die grotesk bekleideten Darsteller schaffen es auf faszinierende Weise, die Bilderwelt des Poeten adäquat in eine räumlich theatralische zu übertragen, ohne dass es illustrierend wirkt.
Sie arbeiten sich aus dem Zelluloseberg wie kafkaeske Käfer, bekämpfen sich mit Satz-Fragmenten, um schließlich einträchtig chorisch ein Gedicht gemeinsam zu rezitieren. Sie knüllen und reißen Papier, purzeln  umher und balgen sich, springen auseinander und fallen sich wieder in die Arme. Dabei begeistert Stefan Kaminsky vor allem mit ausdrucksstarkem Mienenspiel, Mareike Greb mit ihrer enormen Beweglichkeit. Sie führen eine beeindruckende Variation vom ewigen Spiel des Annäherns und Abstoßens vor; atmosphärisch gewaltig wie ein lebendig gewordenes und aus den Fugen geratenes Gemälde eines alten Meisters, und stimmig bereichert von Christian Walters sphärisch schrägen Klängen am Kontrabass.
Zum Höhepunkt steigert sich der choreografische Reigen, als Greb sich schlangengleich um Kaminskys Füße windet und sich dann an ihm hochzieht: "Ja ich sehne mich nach dir". Er antwortet mit dem Liebes-Lied, einem  der schönsten Werke Rilkes: "Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt". Es folgt ein körperlich-verbales Duell aus Tanz, Ringkampf und Akrobatik, das eine subtile Erotik ausdrückt, wie sie sich nur in den Zeilen des Autors selbst wiederfindet.
Etwas plötzlich bricht diese "szenische Affäre" ab, doch zu kurz ist sie nicht. Eine dreiviertel Stunde reicht völlig aus, damit dieses große Theater auf engem Raum seine Wirkung entfaltet und am Ende verdienten Beifall erntet.