TheaterPACK
© Leipziger Volkszeitung, 1. April 2017

Intensiv und leidenschaftlich
Theater-Pack-Premiere: Clara Fuhrmanns „Zwischen Dunkelblau“ im Laden auf Zeit

Von Henrike Winter

Man kommt in den Raum und es ist dunkel, fast so, als würde man eine Reise durch das Universum antreten. Auf der Bühne sind scheinbar wahllos Dinge verstreut. Stimmen erklingen und das grausige Klirren von Operationsbesteck, wie von ganz weit weg. Ein Lachen gesellt sich dazu. Kein fröhliches, aber auch kein bösartiges. Hysterisch klingt es.
Wir landen in der Gedankenwelt von Mittzwanzigerin Paula. Hat sie sich den Eingriff gut überlegt? Aus einem großen, schwarzen Etwas gesellt sich ein eigenartiges, zartes Wesen hinzu: das Bedürfnis nach Liebe. Paula ergreift die einmalige Chance, ihr Inneres über ihre verkorksten Beziehungen auszufragen, doch: Es spricht nicht. Will seine Strategie einfach nicht preisgeben, sich nicht erklären müssen. Die Rettung ist Musik – gefühlvolle Melodien und Geräusche. So können die beiden nun doch miteinander kommunizieren. Paula beginnt über ihr bisheriges Liebesleben zu reden.
Hier beweist Autorin Clara Fuhrmann, die selbst die Hauptrolle spielt, ihre Gabe, merkwürdig verquere Gedankengänge und eigenartige Wege zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung offenzulegen. Unwillkürlich schmunzelt man über die Aufrichtigkeit in Paulas Worten. Wer kennt das nicht: erste Liebe, Eifersuchtsspielchen, das Erwachen aus dem Liebesrausch … Doch unter die Heiterkeit mischt sich auch ein beklemmendes Gefühl. Mit monotoner Stimme und ausgemergeltem Gesicht erzählt Paula von Jan und seiner Depression, die all ihre Kraft und Zeit einnahmen. Als dann ein Kinderlied ertönt und Paula an ihre kranke Mutter denken muss, wird man sich des Ernstes der Lage vollends bewusst: „Erkrankt an Alzheimer … mit 55?!“, ruft Paula und man spürt ihre Verzweiflung und Hilflosigkeit.
Eigentlich wollte sie alles anders machen als ihre Mutter. Deshalb auch der Entschluss, sich sterilisieren zu lassen. Doch nun merkt sie auf einmal, wie sehr sie die Mutter doch liebt. Umso schlimmer die Erkenntnis, sich Jans wegen nie genug um sie gekümmert zu haben. Paulas bisheriges Leben liegt aufgedröselt und unschön vor ihr. Vielleicht ist der Eingriff doch die falsche Entscheidung? Vielleicht verringert er ihre Chancen, jemanden aufrichtig zu lieben? Ist es nicht schon zu spät? Das Bedürfnis nach Liebe glaubt einen Weg zu kennen …
Der Spannungsbogen von Frank Schletters Inszenierung wird kunstvoll strukturiert durch die Zwiesprache von Text und Musik. Für Letztere sprang zur Premiere am Donnerstagabend kurzfristig Camille Bernaudat für die erkrankte Kontrabassistin Imki Niemeier ein und bereicherte den Abend mit ihrem Akkordeon und beredter, genau gesetzter mimischer Anteilnahme. Vor allem aber lebt er von Clara Fuhrmann. Ihr Text zeugt von feinem Sprachgefühl und ist in seinen wohlgesetzten und dabei in keiner Weise gestelzten Formulierungen weit entfernt von modischem „Jugendsprech“, ihr Spiel intensiv und leidenschaftlich.
Am Ende bleibt Hoffnung – und das Gefühl, manche Gemeinsamkeit mit Paula zu haben. Den heftig applaudierenden, vorwiegend jungen Zuschauern ist deutlich anzumerken, dass dieses sehr heutige Theaterstück nah an sie herankommt.