TheaterPACK

Leipziger Volkszeitung vom 12./13.7.2008

Wunderbar sinnlos

Theater Pack amüsiert mit Frank Schletters Sommertheater-Inszenierung „Alice vs. Wunderland" im Werk II

„Es gibt zu wenig verrückte Menschen." Das Zitat aus der jüngsten Theater-Pack-Produktion „Alice vs. Wunderland", die am Donnerstag Premiere im Werk II feierte, spielt garantiert nicht auf Regisseur und Ausstatter Frank Schletter an. Es bedarf einer gehörigen Portion kreativer Verrücktheit, um einen solch grotesken Bühnenkosmos zu entwerfen.

Autor Christian von Aster und sein ominöser Co-Autor K. Ninchen haben sich Lewis Carrolls berühmtes Kinderbuch zur Vorlage genommen, erzählen aber eine eigene Geschichte. Alice (Anja Thonig) ist ein aufgewecktes und fantasievolles Mädchen, glänzt aber nicht gerade mit ihren schulischen Leistungen und steckt mitten in der Pubertät.

Ihre Mutter (Sabine Kaminski) ist wenig verständnisvoll und muss erst vom Physiklehrer Dodgson (Wolfgang Grosse) darüber aufgeklärt werden, dass ihr Töchterchen gewisse biologische Interessen entwickelt. Konkret verkörpert werden sie durch Schwerenöter Ronny (Alexander Aue), der Mädchen wie Aktien behandelt und Alice zugunsten von Mandy „abstößt". Die Geprellte flüchtet in eine Fantasiewelt, in der ihr Carrols Wunderland-Kreaturen vom weißen Kaninchen über die Grinsekatze bis zur Kartenkönigin begegnen.

Trotz spielerischer Unsicherheiten, einiger Längen und gelegentlichem Umbauchaos bei der Premiere ist das Stück sehenswert. Darstellerisch brilliert vor allem Anja Thonig als verspielte Alice, die herrlich keck das Abenteuer bestreitet und in einer Szene eine meisterhafte Begabung im Playback-Synchronsprechen vorweist.

Stärker noch als in den früheren Schletter-Inszenierungen tragen hier die Ausstattung und die schönen Details zur Qualität des Werkes bei, mehr als die Rahmenhandlung. Untermalt von Claudia Herolds und Steffen Petzolds Live-Musik und gewürzt mit treffsicheren Pointen wird ein Bilderreigen präsentiert, der vor allem wegen der schrillen Kostüme und der abstrusen Puppen ein Erlebnis ist. Zum Star des Abends entwickelt sich die Pausenkröte. Wie eine Parodie auf Brechts episches Theater hält sie zwischen den Szenen Schrifttafeln hoch, und ihre Auftritte sind auf zwerchfellerschütternde Weise wunderbar sinnlos.

Neben dem in der Vorlage bereits angelegten intelligenten Nonsens werden pädagogische und jugendpsychologische Weisheiten auf die Schippe genommen, jedoch nicht ohne Lehrwert für das Publikum. Am Ende wissen wir, wie ein Regencape angewendet wird, dass Haschisch nicht gespritzt wird, Liebe letztlich nur ein biochemischer Prozess ist und ein innerer Führer gesünder ist als ein äußerer.

Eine Schule des Lebens, die sich im übrigen draußen auf der Terrasse des Werk II noch vergnüglicher gestalten dürfte als in der akustisch unzureichenden Halle A. Weil keiner absehen konnte, dass sich die dunklen Wolken doch nicht entluden, hatte man sich für die Regenvariante entschieden. Möge es in diesem Sommer noch viele sonnige Abende im Wunderland geben.

Janna Kagerer in der Leipziger Volkszeitung vom 12./13.7.2008

 

Leipziger Internet Zeitung vom 20.7.2008

Alice vs. Wunderland: Werk II zeigt entrümpelten Drogentraum

Alice verliert ihre erste Liebe, den grünhaarigen Ronny, an Mandy und dadurch sich selbst an die Drogen. Mr. Dodgson und Prof. Snark erklären das Leben, die Liebe und die Biochemie. Natürlich nützen diese Erklärungen Alice nicht im Geringsten, denn sie ist ja nicht in "Realitäts"-Lande.

Im Drogenzustand begegnet Alice (kleine grüne Fee, aber hervorragend aufreizend gespielt von Anja Thonig) vielen merkwürdigen Kreaturen und am Ende sogar sich selbst. Das ist die Kurzzusammenfassung vom neuen Sommertheaterstück, der entfernt realitätsgebundenen "Liebesdramödie" im Werk II.

Das TheaterPACK zeigt die, sehr freie, "Alice im Wunderland"-Fassung von Christian von Aster und K. Ninchen. Letzerer hat entweder in diesem Zusammenhang echt Glück mit seinem Namen oder es ist doch nur ein K.Name. Jedenfalls haben sich beide darangemacht, den Drogentraum von Lewis Caroll so weit von Merkwürdigkeiten zu entrümpeln, dass ein in sich schlüssiges und amüsantes Stück entstanden ist. Ein Kinderstück ist zwar keine der beiden Fassungen, aber die aktuelle Fassung kann durch sein Pubertätsthema mit korrelierendem Drogenkonsum zumindest von Endpubertierenden verstanden werden.

"Und jetzt spritzt sie sich Haschisch?" (Mrs Lidell, Alices Mutter). Insgesamt schafft sie erheblich mehr "Aha-Effekte", als es L. Caroll konnte. Als kleine Zugabe ist die Chance größer, den Film "Donnie Darko" zu verstehen, wenn man das Zitat: "… Alices innerer Führer ist ein großer weißer Hase" von Anja Schaufuß, alias Prof Snark, verstanden hat.
Eine weitere Vereinfachung des Verständnisses stellen die drei Hasen der "Triple-Rabbit-Travel-Tour" und eine Schildkröte dar, welche die Reise aus bzw. in die Realität erkenntlich machen.

Wer also die Filme von 1951 und den verwursteten Hollywoodstreifen nicht verstanden hat, findet im Werk II Balsam für die Seele.

Udo Sassner in der Leipziger Internet Zeitung vom 20.7.2008