TheaterPACK
© Leipziger Volkszeitung, 22. Oktober 2019

Zum Verrücktwerden
Theater Pack gelingt mit „Dr. Zargota“ ein amüsantes Verwirrspiel um Diagnosen und wirkliche Probleme

Von Elena Burbach

Henryk, Maria und Paul wollen eigentlich nur eins: wieder gesund werden. Sie suchen Hilfe beim berüchtigten Psychotherapeuten Eugen Zargota und ahnen nicht, dass der Arzt sie am Ende immer tiefer in den Wahnsinn treibt. Mit der Uraufführung von „Dr. Zargota“ verwandelte das TheaterPack in der Regie von Frank Schletter am Samstag den Keller des Beyerhauses in das Behandlungszimmer des zwiespältigen Psychotherapeuten. Vor rund 30 Gästen zeigte die Gruppe das erste Theaterstück aus der Feder von Poetry-Slammer und Literaturveranstalter Jan Lindner.
Dass es in der Praxis nicht ganz mit rechten Dingen zugeht, ist schon beim Anblick des Bühnenbildes zu erahnen. Zwischen schachbrettartigen Bildern hängt ein großer roter Schlapphut an den Wänden, der an den verrückten Hutmacher aus Alice im Wunderland erinnert. Schmatzend, schniefend und mit zerzauster Frisur findet sich Dr. Zargota, gespielt von Mario Rothe-Frese, perfekt in dieses Bild hinein.
Der ambivalente Therapeut wirft schnell die Frage auf, wer von den Protagonisten eigentlich behandlungsbedürftig ist. Denn in voller Überzeugung und Selbstüberschätzung seines eigenen Intellekts stellt Zargota seinen Patienten messerscharfe Diagnosen. „Sie sind krank“, lautet zum Beispiel die für seinen Patienten Paul (David Leubner), der an selbstzerstörerischen Schuldgefühlen leidet.
Die stärkste Szene liefert Rothe-Frese als Dr. Zargota, als er in einer Sitzung mit Patientin Maria (Inka Wiederspohn) in die Rolle ihrer Mutter schlüpft. Als gefeierte Pianistin sah diese in ihrer Tochter immer nur eine Last, was bei Maria ein krankhaftes Bedürfnis nach Liebe ausgelöst hat. Konfrontiert mit diesen Vorwürfen stürzt Maria immer tiefer in ihr seelisches Ungleichgewicht. Durch eine geschickte Manipulation macht sie sich zeitweise sogar unbewusst zur Komplizin der wirren Intrige des Arztes.
Das passiert sehr zum Leidwesen von Henryk (Fabian Trott), einem zerstreuten Musiker, der sich selbst für die „Reinkarnation von Jimi Hendrix“ hält und durch sein Drogenproblem ständig Angst vor dem Tod hat. Dabei ist er sich seinem viel realeren Problem gar nicht bewusst: Seine Abhängigkeit von der verführerischen Maria.
Wie sehr sich das Leid von Maria, Hendryk und Paul im Verlauf der Geschichte ineinander verzahnt, wird neben den Gesprächen durch eine starke Performance der drei ausgebildeten Schauspieler unterstrichen, die – neben Pack-Urgestein Rothe Frese – mit dem Stück auch Premiere im Ensemble des TheaterPacks feiern.
Sichtlich erfreut beobachtet Dr. Zargota, wie sich die Leidensgeschichten immer weiter ineinander verkeilen und seine perfide Intrige aufzugehen scheint. Die Texte sind dabei so vielschichtig wie die Charaktere: mal tiefgründig, mal absurd; und ab und zu scheint der Slam-Charakter durch die Interpretation der Darsteller.
„Dr. Zargota“ erzählt gleich vier Geschichten von Liebe, Sucht, Macht und emotionaler Abhängigkeit. Dass sich Autor Jan Lindner dabei von einfachen Beobachtungen menschlicher Beziehungen hat inspirieren lassen, mag man erst nicht glauben – und überrascht bei genauerer Betrachtung dann doch nicht.

 
 
 
© kreuzer Leipzig, Dezember 2019

Tragisch-komisch verwirrt
Mit „Dr. Zargota“ kommt Jan Lindners erstes Stück auf die Bühne

Der „kraftvolle Austausch von Geisteskrankheiten“ beginnt, als ein offensichtlich verwirrter Mensch mit Gitarre die Praxis von Dr. Zargota betritt. Er schildert seine Furcht davor, 28 Jahre alt zu werden. Schließlich haben Musiker wie Kurt Cobain und Jimi Hendrix in diesem Alter bereits „abgenibbelt“. Noch während er seine Angst vor allem und nichts gesteht, klopft es erneut an die Tür und das Stück über einen narzisstischen Psychotherapeuten und dessen fragwürdige Behandlungsmethoden nimmt seinen tragikomischen Verlauf.
Für sein erstes Stück hat der Leipziger Autor Jan Lindner vier Figuren entworfen, die das TheaterPack mit der ihm eigenen Art skurril in Szene setzt. Statt seine »Patienten« zu heilen, hetzt der selbstverliebte Dr. Zargota (Mario Rothe-Frese) Maria, Henryk und Paul gegeneinander auf. Diesen geben Inka Wiederspohn, Fabian Trott und David Leubner spielfreudig Charakter. Während der „therapeutischen“ Sitzungen wird Maria schon mal zur Gesundung ein Kissen auf die Nase gedrückt, Henryk sollen Zäpfchen gegen Liebeskummer helfen, während Paul sein nächstes Opfer schwitzend und mit gierigem Blick scheinbar im Publikum sucht. Bald treibt Zargota mit wirrem Haar und glasigen Augen alle endgültig in den Wahnsinn.
Die Figuren haben unterschiedlich viel Raum, sich auszutoben. Den nutzen vor allem Rothe-Frese und Trott intensiv. Wiederspohns Maria hat große Auftritte, wenn sie vom Arzt zur Intrige angestachelt die Krankenschwester mimt. Paul alias David Leubner muss im Gegensatz zu seinen Mitspielern, die mit allerhand Requisiten rumfuchteln dürfen, subtiler agieren, um sich ständig klein und schuldig zu fühlen – selbst am Tod von Marias Tochter. Wobei nicht aufgelöst wird, ob es stimmt.
Während Regisseur Frank Schletter sonst gern Klassiker der Weltliteratur auf die Bühne bringt, wirkt dieses Stück völlig aus der Zeit gefallen. Der Alltag in der Psychotherapie scheint jedenfalls grauenvoller denn je.
PETRA MEWES